Hauptsache drin? Arzneimittelgabe über eine Sonde
Hauptsache drin? Die Arzneimittelgabe über eine Ernährungssonde
Wenn man verreist und keine Raststätte auf dem Weg liegt, sollte man für ausreichend Reiseproviant sorgen.
Als sich die NASA Mitte der 1960er Jahre auf den Weg zum Mond machte, suchte man daher nach einer Ernährungsform, die die Astronauten unter extremen Bedingungen mit allen nötigen Nährstoffen versorgen konnte und außerdem möglichst vollständig verstoffwechselt werden sollte.
Man entwickelte eine spezielle Trinknahrung, die höchste ernährungsphysiologische Ansprüche erfüllte – und scheußlich schmeckte.
Die Astronauten lehnten das Zeug also entschlossen ab, und so kam es, dass die erste entwickelte Astronautenkost niemals die Erde verließ.
Dennoch war damit glücklicherweise die Grundlage für die Ernährung über eine Sonde gelegt, und nur wenige Jahre später konnten Patientinnen und Patienten mit einem synthetischen Produkt vollständig ernährt werden.
Wenn Patientinnen und Patienten über eine Sonde ernährt werden, erhalten sie meist auch ihre Medikamente über diesen Weg. Das stellt die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegekräfte oder pflegende Angehörige vor große Herausforderungen:
Können die Tabletten einfach so gemörsert werden? Dürfen die Kapseln geöffnet werden und der Saft unverdünnt durch die Sonde laufen?
Die Konsequenzen einer eventuell falschen Vorgehensweise ist vielen Beteiligten häufig unklar.
Deshalb möchte ich den Prozess der Medikamentengabe über eine Ernährungssonde gemeinsam mit dir beleuchten.
Wann kann die Ernährung über eine Sonde notwendig werden?
Wenn eine ausreichend kalorische Versorgung über die normale Nahrung nicht möglich ist und auch Trinknahrung nicht gut funktioniert, profitieren Patientinnen und Patienten von einer Ernährungssonde. Oft ist die Ursache für die Mangelernährung eine Dysphagie durch z.B. einen Schlaganfall oder andere neurologische Erkrankungen. Auch Tumore im Kopf- und Halsbereich können ein Grund sein.
Durch eine Ernährungssonde wird dann der Mund-Rachen-Raum umgangen. Der Magen-Darm-Trakt ist jedoch weiter für die Verdauung zuständig und seine Organfunktionen können aufrechterhalten werden.
Welche Arten von Ernährungssonden gibt es?
Ernährungssonden werden durch ihre Lage im Verdauungstrakt unterschieden.
Dabei gibt es prinzipiell vier Möglichkeiten: Durch die Nase oder durch die Haut?
In den Magen oder in den Dünndarm?
Die Entscheidung für eine nasale oder eine perkutane Sonde hängt von der Dauer der benötigten Ernährung per Sonde ab. Ist diese voraussichtlich kürzer als vier Wochen notwendig, wird meist die nasale Lage gewählt.
Ob die Sonde im Magen oder im Dünndarm endet, entscheidet der Zustand des Gastrointestinaltrakts der Patientin bzw. des Patienten. Bei einer Entleerungsstörung des Magens etwa, oder wenn der Magen durch eine Operation stark verkleinert wurde, kommt eher eine Dünndarmsonde infrage.
- Die nasogastrale Sonde geht durch die Nase und endet im Magen.
- Die nasointestinale oder auch nasojejunale Sonde geht durch die Nase und endet im Dünndarm.
- Die perkutane endoskopische kontrollierte Gastrostomie – oder kurz PEG – wird durch die Bauchdecke in den Magen gelegt. Das ist die häufigste Sondenlage.
- Die perkutan endoskopisch kontrollierte Jejunostomie – kurz PEJ – geht durch die Bauchdecke in den Dünndarm.
Für die Arzneimittelgabe ist die Lage der Sonde von zentraler Bedeutung. Bei einer Magensonde etwa musst du beachten, ob das Arzneimittel säureempfindlich ist und durch die Magensäure zerstört werden würde oder ob es die Magenschleimhaut schädigen könnte.
Du solltest außerdem den Durchmesser der Sonde kennen.
Dieser wird in Charrière angegeben und gibt den Außendurchmesser der Sonde an. 1 Ch = 1/3 mm, bzw. 1 mm = 3 Ch.
Für die Arzneimittelapplikation ist strenggenommen aber der Innendurchmesser von Bedeutung.
Der Innendurchmesser wird auch als Lumen bezeichnet.
Pellets oder Arzneistoffe, die stark quellen, dürfen nicht über englumige Sonden verabreicht werden. Der Innendurchmesser sollte hier mindestens 1,6 Millimeter betragen!
Bei Unklarheiten kannst du den Innendurchmesser beim Hersteller erfragen.
Bevor du ein Arzneimittel durch eine Ernährungssonde schickst:
Welche allgemeinen Grundsätze solltest du beachten?
- Ohne entsprechende Informationen darfst du niemals ein Medikament einfach so zerkleinern oder über eine Sonde verabreichen.
- Auch, wenn es vielleicht nervt: Die Machbarkeit muss dabei für jeden Einzelfall geklärt werden! Darf die Tablette gemörsert werden? Darfst du die Kapsel öffnen? Wenn ja: Passen die Pellets durch die Sonde? Gibt es Wechselwirkungen mit dem Material der Sonde?
- Wo immer es möglich ist, sollten flüssige Arzneiformen verordnet werden. Vielleicht kann auch auf andere Arzneiformen, wie etwa Zäpfchen oder TTS umgestellt werden.
- Auch flüssige Arzneiformen musst du vor der Sondenapplikation verdünnen, um Schleimhautschädigungen auszuschließen. Normalerweise reichen 10 ml Wasser aus. Bei hochkonzentrierten oder stark viskosen Arzneiformen sollten es besser 30 ml sein.
- Vor dem ersten und nach dem letzten über die Sonde applizierten Arzneimittel musst du mit 30 ml Wasser spülen. Zwischen JEDEM einzelnen Arzneimittel mit 10 ml.
- Auch wichtig: Gibt es Wechselwirkungen mit der Sondennahrung? Musst du einen Abstand beachten?
Welche Grundregeln gibt es für feste perorale Arzneimittel?
- Tabletten ohne Überzug kannst du fein mörsern oder in Wasser zerfallen lassen:
- Gemörserte Tabletten werden anschließend mit ca 15 ml Wasser versetzt, durch Umrühren suspendiert oder gelöst und anschließend mit einer Spritze aufgenommen.
- Zerfallen lassen: Befülle eine Spritze mit 20 ml Wasser, gib die Tablette hinein und warte, bis diese zerfallen ist. Anschließend überführst du den Spritzeninhalt zügig unter ständigem Schwenken in die Sonde.
- Filmtabletten sind meist ebenfalls problemlos mörserbar. Solltest du nach dem Mörsern Filmreste im Mörser entdecken, solltest du sie mit einer Pinzette entfernen, da die Sonde sonst verstopfen könnte.
- Super wichtig: Unterschiedliche Tabletten musst du immer einzeln mörsern! Eine Wechselwirkung der Tablettenbestandteile durch das Mörsern kann nicht ausgeschlossen werden!
- Wenn eine Kapsel grundsätzlich geöffnet werden darf und Pellets enthält: Achte auf den Innendurchmesser der Sonde.
- Besonders kritisch ist die Zerkleinerung von Retardpräparaten! Wir empfehlen eine Zerkleinerung nur in absoluten Ausnahmefällen und auf jeden Fall nur mit Rücksprache mit deiner Apotheke. Viele Retardpräparate dürfen nicht zerkleinert werden. Der Arzneistoff würde dann nicht mehr langsam über längere Zeit freigesetzt, sondern stünde direkt komplett zur Verfügung. Dies würde zu einer Überdosierung führen und für den Patienten gefährlich werden!
- Magensaftresistent überzogene Tabletten darfst du nur bei jejunaler Lage mörsern! Würde der Arzneistoff gemörsert und somit ungeschützt im Magen landen, kann er seine Wirksamkeit verlieren oder unter Umständen die Magenschleimhaut schädigen.
- Sogenannte MUPS-Arzneiformen kannst du in einer Spritze in Wasser zerfallen lassen, wie wir es vorher bei Tabletten gesehen haben.
MUPS? Was ist denn das schon wieder?

MUPS ist die Abkürzung für „Multiple Unit Pellet System“. Es bedeutet, dass eine Tablette aus vielen kleinen Kügelchen besteht, die alle einzeln mit einem Überzug versehen sind. Dieser Überzug kann z. B. vor der Magensäure schützen. Er kann aber auch dafür sorgen, dass die Pellets den Wirkstoff zeitversetzt (also retardiert) freigeben.
Die Pellets würden durch das Mörsern zerstört werden. Das solltest du also besser nicht machen!
Du kannst die Pellets aber suspendieren.
Wenn du dir nicht hundertprozentig sicher bist, ob und wie du ein Arzneimittel über die Sonde geben darfst, solltest du immer in deiner Apotheke nachfragen!

